Taiwan, die Ukraine Asiens

July 27, 2022
Taiwan, die Ukraine Asiens

Die geographische Lage ist verschieden, die geopolitische Situation aber vergleichbar. Ein Angriff Chinas auf Taiwan ist keineswegs auszuschliessen. Die Konsequenzen auch für die Schweiz würden noch gravierender ausfallen als jene von Putin’s Aggressionskrieg gegen die Ukraine.

Nimmt sich der chinesische Autokrat Xi Jinping ein Beispiel am russischen Autokraten Putin oder deuten der Verlauf und die weltwirtschaftlichen Konsequenzen des Ukrainekrieges auf das Gegenteil hin? Die geographischen und auch politischen Verhältnisse am östlichen Ende der gigantischen Landmasse von Eurasien sind verschieden. Wenn es der kampferprobten Armee der nuklearen Grossmacht Russland nicht gelingt, einen vergleichsweise kleineren Nachbarn zu Lande schnell und relativ schmerzlos zu besetzen, wie soll das der zwar riesigen, aber ohne Kriegserfahrung gebliebenen Armee der Volksrepublik übers Wasser nach Taiwan gelingen?

Die wirtschaftlichen Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft einer chinesischen Aggression gegen seine kleine Nachbarinsel wären noch ungleich grösser als angesichts von Putin’s Aggression. Das schliesst China selbst ein, das wirtschaftliche Ausseninteressen hat, welche in einer zwar auseinander driftenden, aber nach wie vor globalisierten Weltwirtschaft ungleich grösser sind als jene Russlands. Und doch deuten geopolitische Zeichen auf eine zumindest latente Kriegsgefahr hin.

Ähnliche geopolitische Indikatoren

Die Entwicklung der drei Hauptindikatoren der Geopolitik in China – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – verläuft in Richtung einer ständig grösser werdenden Wahrscheinlichkeit, dass sich Xi nicht nach den Gesetzen normaler Logik verhalten wird. Und seine unmissverständlichen Voraussagen ‘Taiwan bald heim zu holen’ wahr machen wird.

Politisch war die Volksrepublik nie mehr seit Mao von einem Mann abhängig wie jetzt. Xi sieht wie Putin zwei Hauptziele: Vergangene Grösse wieder aufleben zu lassen – was chinesisch ist gehört China – und seinen Nachruf als grosser Erneuerer zu verewigen. Wie Putin ist ihm der demokratische Westen zutiefst zuwider. Anders als seine einem Kollektiv angehörenden Vorgänger, vermeint er, China folge ihm allein Zugleich treibt er unter dem Deckmantel der binnenwirtschaftlichen Losung prosperity for all die wirtschaftliche Autarkie, damit ein decoupling von der Weltwirtschaft unablässig vorwärts. Investitionen, Technologie und Produkte aus dem Westen sind für ihn Beihilfen, die chinesische Wirtschaft zur dominanten Volkswirtschaft der Welt zu machen; nicht verwoben mit, sondern abhängig von China.

Die chinesische Gesellschaft ist mehr als je zuvor gleichzeitig gegängelt (social credits), repressiv kontrolliert (Minderheiten) und mit nationalem Agitprop konstant unter Spannung gehalten. Für Chinesen*innen, im In- und Ausland gibt es nur eine Loyalität, zu China, damit der KP und damit ihrem, wiederum mit seinem roten Büchlein allgegenwärtigen Chef Xi Jinping.

Reaktionen

Präsident Biden hat, klarer als zuvor von amerikanischer Seite, bekräftigt, dass die USA bei einem chinesischen Ausgriff auf Taiwan dem Inselstaat zu Seite stehen würde. Die dritte Frau im Staat nach Präsident und Vizepräsidentin, die demokratische Mehrheitsführerin Nancy Pelosi will das mit einem Besuch in Taipeh symbolisch bekräftigen.

Der neue japanische Ministerpräsident Fumio Kishida hat an einem asiatischen Sicherheitsforum mit einer scharfen Verurteilung von Putin keinen Zweifel daran gelassen, dass seine Warnung, die Welt stehe an der historischen Wegscheide zwischen nationalistischer Aggression und internationaler Ordnung ebenso auf Xi Jinping gemünzt war. Die gegen China gerichtete, asiatische Viererabsprache der Quad (USA, Japan, Australien, Indien) wird strategisch greifbarer. Die ASEAN (Südostasien) sieht die von Beijing rasch vorangetriebenen Militarisierung und Einverleibung des südchinesischen Meeres als Mare Nostrum mit grosser Sorge, wenn auch mit ebenso grosser Ohnmacht. Ein Angriff auf Taiwan würde wohl auch sie zwingen, Partei zu ergreifen.

Taiwan

Taiwan selbst ist in vielerlei Beziehung eine wirtschaftliche Gross-, militärisch aber höchstens eine Mittelmacht. Es ist in den letzten Jahren primär von den USA aufgerüstet worden; hinter seine Fähigkeit, sich gegen einen grossangelegten chinesischen Luft- und amphibischen Angriff wirksam zu verteidigen sind allerdings einige Fragezeichen zu setzen. Ein kürzlicher, aufsehenerregender Artikel im Weltblatt Financial Times eines wehrdienstpflichtigen taiwanesischen Studenten sieht Taiwans Milizarmee weiterhin einer veralteten Doktrin von sinnloser Massenrekrutierung statt gezielter Spezialisierung verpflichtet.

Wie letzte Wahlergebnisse ebenso wie Umfragen zeigen ist indessen nicht an Taiwans’s Willen zur Selbstbehauptung zu zweifeln. Ähnlich wie in der Ukraine werden sich die Taiwanesen bei einem Angriff von China um ihre Regierung scharen. Die nach dem abschreckenden Beispiel Hongkong ohnehin schnell schrumpfende Minderheit , welche bislang für eine Öffnung Richtung China eingetreten ist, dürfte ebenso dazu gehören.

Und die Schweiz?

Die potentiellen Folgen für Europa einer kriegerischen Auseinandersetzung um Taiwan sind enorm.

Was speziell die Schweiz anbelangt, so ist auf offizieller Seite eine vorsichtige Absetzbewegung von den ‘langjährigen, sehr guten Beziehungen’ zwischen Beijing und Bern auszumachen. Eigentliche helvetische Bücklinge vor dem ‘Kaiser der Mitte’, wie sie noch vor wenigen Jahren im Namen der Wirtschaftsbeziehungen bis und mit Bundespräsident gang und gäbe waren, dürften der Vergangenheit angehören. Aber: Wie weit ist das konkrete contingency planning gediehen für den schlimmstmöglichen Fall einer offenen militärischen Konfrontation um Taiwan? Eingeschlossen der dann rasch erfolgenden Boykotte gegen Chines*innen, gegen chinesische und dort hergestellte Produkte (Lieferketten), und wohl auch einer von Washington eingeforderten Beistandspflicht Europas. So wie die USA heute die westliche Demokratie in der Ukraine verteidigen.

Zweifel am nötigen Realitätssinn sind angebracht, was die schweizerische Wirtschaft als Ganzes, und speziell die Finanzwirtschaft anbelangt. Wichtige Teile haben Mühe zu begreifen, dass das China von heute nicht mehr jenes ist, zu dem sie vor Jahren hoffnungsvoll aufgebrochen sind. Geopolitische Naivität ist evident: Die CS, welche gerade ein zweites Beijing-höriges VR-Mitglied aufgenommen hat. Ein grosses, kotiertes KMU in der Schweiz, dessen CEO sich vermeintlich felsenfest auf die Loyalität seiner chinesischen Mitarbeiter, in China und in der Schweiz – hierzulande wohl mit Zugang zur neuesten Technologie – verlassen kann. Wo es doch für Chinesen überall auf der Welt nur die Loyalität zum eigenen Lande und dessen grossem Führer Xi geben kann. Dies unter Strafe bei Rückkehr ins Heimatland oder gegen in China ansässige Familie.

Zwei Kalte Kriege

Der wieder aktuelle Kalte Krieg 2.0 zwischen dem Westen und Russland würde so ergänzt mit einem Kalten Krieg China vs. USA, der – spätestens wenn es zu einem heissen Krieg in Indo-Pazifik kommt – sich endgültig zu einem Kalten Krieg China vs. Westen entwickeln wird. Eine nicht nur geopolitisch sondern auch wirtschaftlich andere Welt erwartet uns dann, für Europa und die Schweiz zusätzlich belastet durch den Umstand, dass eine Art Bürgerkrieg in den USA bereits begonnen hat mit unabsehbaren Folgen auf westliche Fronten. Spekulation: Der wiedergewählte Trump oder ein nationalistischer Klon von ihm, der nach Beijing reist, um mit seinem ‘guten Freund’ Xi einen deal auszumachen, auf dem Rücken des Restes der Welt. Seinerzeitiger deal zwischen Kim und Trump lässt grüssen.

Dieses Szenario einer völlig anderen Welt, als jene welche wir seit langem kennen war noch vor wenigen Jahren undenkbar. Aber die Wahl von Trump und der Überfall von Putin auf die Ukraine hat uns eines Besseren – besser: eines Schlechteren – belehrt.

Picture: Can Pac Swire